Yoga-Philosophie: Patanjalis Yoga Sutren

Ich habe vor einigen Wochen beschlossen, die Yoga Philosophie in den Yoga Unterricht zu entegrieren. Seitdem beginne ich jede Yogastunde mit einer kurzen Exkursion in die yogische Philosophie und in die indische Mystik.  Ich war sehr gespannt darauf, wie die Schüler diese  Änderung im Ablauf aufehmen würden? Sie sind aufmerksam und hellwach und sagen, dass die Philosophie sie interessiert und bereichert. Ich freue mich darüber. Sehr. Denn Yoga ist so viel mehr als Körperübungen. Asana ist nur ein Teil des Yog. EIN Ast des Yogabaumes. EIN Glied auf dem achtgliedrigen Pfad des Yoga. Mein indischer Yogalehrer Rajiv Chanchani betont immer wieder: Yog ist eine uralte Philosophie des Lebens. Yoga ist das, was der Westen daraus gemacht hat. Körperertüchtigung. Er nennt das auch PopYoga.

Patanjali, der indische Schriftgelehrte, hat Yog in kurzen Aphorismen erklärt und uns damit einen Leitfaden an die Hand gegeben.

Ich beginne meine Exkursionen in Yog also mit Patanjali ...


Patanjali war ein großer indischer Gelehrter.

Man weiß nicht, ob er die Yogasutren verfasst hat, oder ob sie ihm gewidmet wurden. Es gibt auch keine Gewissheit über das Verfassungsdatum. Geschätzt wird es auf 4 Jh vor bis 2 Jh nach Christus.

Sutra heißt Faden. Es handelt sich also um einen Leitfaden. 

195 ( manchmal auch 196, je nach Übersetzung) Lehrsätze schenkt uns Patanjali. Die Yogasutren gelten als älteste schriftliche Quelle des Yoga.  Sie sind die Basis des klassischen Yoga. Die Essenz des Yog.

In der Mythologie Indiens gilt Patanjali als Inkarnation Sheshas, König der Schlangen. Bildlich wird er als Königskobra dargestellt. Diese Königskobra wird von Vishnu, dem Erhalter der Welt, als Sitzplatz genutzt. Shesha ist also das Reittier und der Sitzplatz Vishnus. Vishnu braucht Shesha, um sich auszuruhen. Nach jedem Weltzeitalter nimmt er auf Shesha Platz. Wenn Vishnu gähnt, verursacht das starke Erdbeben, wenn er Feuer spuckt, kommt es zum Ende einer Schöpfung. G. Grütter erzählt uns die Geschichte von Patanjalis Geburt.

 

Die Sutras sind so knapp gehalten, dass sie der Interpretation bedürfen. Auch Iyengar hat eine Auslegung der Sutras verfasst und den 196 Versen ein ganzes Buch gewidmet. Man kann die Sutras aber auch intuitiv lesen und sie mit dem Herzen verstehen.

 

Die Yoga Sutren sind in 4 Kapitel aufgeteilt. Beginnen wir mit Kapitel 1.

1. Samadhi pada - Die Versenkung;

Es beginnt mit:

Atha yoganushasanam – Jetzt: Yogadarlegung

 

Man könnte meinen, dass Patanjali uns nur ankündigen möchte, dass es jetzt mit der Darlegung der Yogaphilosophie losgeht. Im damaligen Indien war es meisterhaft, sich kurz zu fassen. Nur die Essenz zu Papier zu bringen. Patanjali hat also hier viel mehr gemeint, als nur einen Startschuss zu geben.

Was er meint ist, dass erst wer Achtsamkeit für das Jetzt entwickelt, die Yogadarlegung verstehen und ins Leben integrieren kann.

Achtsamkeit für das Jetzt kann man überall üben. Beim Duschen, Kartoffeln schälen, essen, stehen, gehen, achtsames reden. Der Königsweg ist die Atembeobachtung in der Meditation. Hier können wir den schnatternden Geist immer wieder zum Atem zurückholen. Wir üben damit, Vergangenheit und Zukunft, Nachhängen und Planen, abzustellen; Nachdenken und Vordenken zu erkennen und zum Atem zurückzukehren. Jetzt sein. Den Augenblick würdigen, schätzen. Wir haben nur diesen einen Augenblick. Wir wollen nicht nur mit dem Körper  auf der Matte ankommen, sondern auch mit dem Geist. „Für die Yogaphilosophie als Übungspraxis bildet die Achtsamkeit des Jetzt eine wichtige Voraussetzung (Wolz- Gottwald)“

Die Yogasutras sind ja nicht nur eine theoretische Darlegung des Yoga, sie sind vor allem eine Anleitung, über den eigenen Yogaweg zu reflektieren.

„Yoga als unser Lebensweg in der Achtsamkeit für das Jetzt“ (Wolz Gottwald)

 

Dann finden wir  die Definition von Yoga.

Yoga Citta Vrtti Nirodhah - Yoga ist das zur Ruhe bringen des Geistes.

 

Als Nächstes erklärt uns Patanjali die Mittel und Ziele des Yoga und die 5 Hindernisse, die das stete Voranschreiten auf dem Yoga Weg behindern.

Die Hindernisse bzw Muster sind:

° Richtiges Wissen - sich durch direkte Wahrnehmung, über logische Ableitung, Wissen erarbeiten, dass sich auf Fakten und Beweise stützt

° Falsches Wissen - Die Dinge anders wahrnehmen, als sie in Wirklichkeit sind

° Vorstellungen - damit sind die Bilder gemeint, die wir uns in unseren Gedanken machen. Diese inneren Bilder sind rein subjektiv. Sie speisen sich nicht aus real existierenden Objekten.

° Tiefer Schlaf - im Tiefschlaf erfahren wir Leere. Wir sind jenseits von unseren Übungen. Iyengar sagt: "Dann ist das Bewusstsein unentfaltet, wie eine noch nicht geöffnete Blüte."

° Erinnerungen - in der Vergangenheit entstandene Eindrücke, Gedanken und Gefühle, die nicht losgelassen wurden

 

Abhyasa-Übung und Vairagya–Loslösung werden als die Pfeiler des Yoga definiert.

Im Yoga öffnen abhyasa und vairagya und der achtfache Pfad die Tür zu der yogischen Reise nach Innen.

"Treten wir mit dem Körper in Kontakt, so treten wir mit dem Universum in Kontakt, " sagt Iyengar.

Wir lernen uns kennen, dringen ein in unser inneres Erleben. Wir erkennen, was ist, und je präsenter wir werden, um so leichter fällt es uns loszulassen.

Abhyasa und vairagya helfen uns, in unserer Übung, das rechte Maß zu finden, zwischen Unterforderung und Überforderung. Nur dann können wir erfolgreich üben. Sie helfen uns dabei, die Übung nach innen zu richten. "Das einzige was der fortgeschritten Übende noch tun muss ist, nichts tun. Sich dem Fluss des Lebens hingeben und lernen, in der dynamischen Stille zu verharren." (R.Skuban)

Vairagya heißt loslösen, geschehen lassen, einfach sein lassen. Ein Zustand der völligen Wunschlosigkeit in Bezug auf Geschehenes und Gehörtes und selbst die Schriften werden wieder losgelassen.

Abhyasa ist nicht nur Asana üben, das Leben selbst sollte zu Abhyasa werden. Das Leben beschert uns immer wieder Übungen, die letztlich dazu führen, den Geist still werden zu lassen. Yoga citta vrtti nirodhah. Und der Übungsgegenstand im Leben ist immer das Loslassen-Vairagya. Nicht anhaften an Dingen die wir mögen oder nicht mögen. Denn am Ende unseres Lebens müssen wir alles loslassen. Menschen, Tiere, Pflanzen, Hab und Gut. Und sogar unser Leben. Es lohnt sich also, dies früh genug zu üben und aus der Gefangenschaft der äußeren Umstände auszubrechen. Wir sind den Polaritäten unterworfen. Ebbe und Flut, Gut und Böse, Freude und Schmerz, Wollen und Nichtwollen. Vairagya heißt, sich daraus erheben. Ohne die Verstrickung in all das was geschieht, sind wir ruhiger, unser Geist ist klarer und wir können mitfühlender und hilfreicher sein. Für uns selbst und alle anderen. Annehmen, was wir nicht ändern können - das äußere Erscheinungsbild, Alter, Krankheiten, die Eigenarten anderer Menschen und und und. Vergeben lernen. Können wir vergeben? Vergeben ist ein Prozess, der niemals im Außen stattfindet. Vergeben ist etwas intimes. Es findet im Inneren statt.

Aufhören alles um uns ständig zu bewerten. Das ist Vairagya. Totaler innerer Frieden, reine Stille. In der Gita steht: "Wenn dies erfahren wird, gibt es keine Fragen mehr.(2.72)"

 

Der Königsweg zu Vairagya ist die Meditation.

Der Königsweg zu Yoga Citta Vrtti Nirodha ist die Meditation.

Patanjali

Yoga Citta Vrtti Nirodhah - Yoga ist das zur Ruhe bringen des Geistes.

Patanjalis Geburt

 

G.Grütter erzählt folgende Geschichte aus der Mythologie:

"Patanjali wird als Mischwesen dargestellt, halb Mensch, halb Schlange.

Vishnu wohnte dem berühmten göttlichen Tanz des Gottes Shiva bei und saß dabei auf der Schlange Shesha. Hingerissen und verzaubert bewegte er sich im Takt mit und wurde dabei schwerer und schwerer. Nachdem Shiva geendet hatte, wollte die Kobra selbst tanzen lernen, musste aber dafür, auf Geheiß Shivas, auf Erden wiedergeboren werden. Diesen Wunsch erfüllte Shiva der Schlange in Gestalt der Yogini Gonika, die sich sehnsüchtig einen Schüler, einen Sohn, wünschte. Eines Morgens betete sie mit geschlossenen Augen zum Sonnengott, ihre Handteller gefüllt mit Opferwasser. Da fiel Shesha in Gestalt einer winzigen Schlange hinab in ihre Handteller. Gonika blickte die Schlange an, und sie verwandelte sich augenblicklich in einen Menschen. Sie nannte das Baby Patanjali - der in ihre Hände Hinabgefallene - "