SHAVASANA – TOTENSTELLUNG

Aufgebahrt. So heißt es, wenn wir unsere Toten, um Abschied von ihnen zu nehmen, betten.

Wir legen sie auf den Rücken, das Kinn leicht zur Halsgrube ausgerichtet, Lippen sanft geschlossen, Augen geschlossen, Lider weich und den Körper zugedeckt bis zu den Schultern.

Eine Yogastunde endet meist in genau dieser Haltung. Wir strecken uns auf dem Boden, auf unserer Matte, aus, und entspannen die Gliedmaßen und den Geist so gut es geht für einige Atemzüge. Das in der Asana-Praxis aufgebaute Prana (Lebensenergie) soll sich in der Entspannung in die Zellen verteilen. Wenn es gut läuft bleiben wir für 3 bis 5 Minuten in dieser Haltung. Eine 90minütige Yogasequenz lässt meist nicht mehr Zeit zu für die Schlussentspannung, wollen wir doch ein effektives Workout erleben. In unserer zielorientierten und optimierungssüchtigen Welt ist aktives Tun positiv konnotiert. In Ruhe und Stille zu Sein, zu Empfangen, ist für die meisten Menschen eher schwierig.

 

Aber Yoga ist nicht Work-out. Yoga ist Work-in.

 

Shunya, die Leere, ist der Zustand, den wir durch Meditation oder durch Shavasana erfahren können. Diesen Seinzustand können wir nicht herbeiführen. Er geschieht ohne unser Dazutun. Wir lassen unser Ego fallen.

 

Wir erleben gerade eine Zeit der großen äußeren Anspannung. Je mehr Anspannung wir im Außen erfahren um so wichtiger ist es für unsere innere Zufriedenheit zu entspannen. Spannung aus unserem System zu nehmen. Und genau deshalb ist Shavasana für mich das wichtigste aller Asana.

Das Vagus Nervenpaar, unser 10. Hirnnerv, ist der größte Nerv des  parasympathischen Nervensystems, des beruhigenden Teils des Nervensystems. Das parasympathische System ist für die Erholung und den Aufbau von Kraftreserven zuständig.

Der Vagusnerv verläuft vom Hirnstamm entlang der Luftröhre durch den Brustraum bis hinab in den Bauch. Auf seinem langen Weg verzweigt er sich in tausende kleine Äste, die alle Brust,- und Bauchorgane regulieren. Umgekehrt leiten diese Vagus-Nervenverzweigungen auch alle Informationen der Organe an das Gehirn zurück. Das Vagus-Nervenpaar hat auch Einfluss auf die Ausschüttung von Hormonen und ist beteiligt an der Steuerung unserer Gedanken, Emotionen und unseres Verhaltens.

Damit sympathisches (Aktivität) und parasympathisches (Ruhe) Nervensystem ausgewogen funktionieren, müssen wir aktiv für Balance sorgen. Es ist leicht vorstellbar was passiert, wenn der Vagus, mit all seinen beruhigenden und ausgleichenden Funktionen, aus dem Gleichgewicht gerät. Das geschieht in unserer heutigen Stresskultur sehr leicht und viel zu oft. Bei Trauma-Patienten z.B. ist das Nervensystem grundsätzlich hochgefahren. Das sympathische Nervensystem feuert unablässig. Das führt zu Unruhe, Schmerzen, Schlafproblemen etc.

Es ist daher wichtig zu wissen, wie wir das Vagus-Nervenpaar stimulieren können. Atemübungen mit verlängertem Ausatem, Meditation, Musik, O und U singen, Gedichte, gemeinsames Essen, Großzügigkeit, Spaziergänge in der Natur, eine sanfte Massage des Halses, ein Bad nehmen..... Ruhen! 

Shavasana ist der Königsweg.

 

Shavasana heißt, ich identifiziere mich nicht mehr mit meinen Gedanken.

 

Tiefenentspannung durch Shavasana braucht Zeit. Mindestens 20 Minuten. Besser 30 Minuten.

Shavasana geschieht in 3 Stufen.

1. Den Vagus runterfahren. Das allein braucht ca. 15 Minuten

2. Shavasana erreicht uns mental und emotional auf einer tieferen Ebene. Pratyahara, das Zurückziehen der Sinne, führt dazu, dass uns nichts mehr stört. Keine Geräusche, keine Gedanken.

3. wir sind so tief in Pratyahara, dass es uns nicht mehr bewusst ist.

 

Und vielleicht kommt dann, irgendwann einmal, wenn das Ego „gefallen“ ist und wir nicht „da sind“, Shunya zu uns.

 

 

 

 

Um dem Vagus zu helfen runterzufahren, sollten alle Gelenke in leichter Flexion (Beugung) sein. Denn nur sanft geflexte Gelenke sind entspannte Gelenke! Ein Bolster in den Kniekehlen, eine gerollte Decke unter den Achillessehnen (nimmt den Druck von den Fersen und flext die Fußgelenke sanft), je ein Kissen unter den zum Himmel geöffneten Händen (entspannt auch die Schultern), die Fingergelenke entspannt, eine gefaltete Decke unter dem Kopf, damit auch die Halswirbelsäule leicht geflext ist und nicht nach hinten gestreckt, und ein leichtes Augensäckchen (Dunkelheit fördert Entspannung) auf den Augen. Und ganz wichtig ist Wärme. Dicke Socken und eine warme Decke helfen zu entspannen. Ein kalter Körper kann nicht entspannen. Die genaue Haltung für ein langes und damit effektives Shavasana lässt man sich am besten von einer Yogalehrerin, die sich mit restorativem Yoga auskennt, zeigen.

 

Still, ruhig, dunkel, warm......Shavasana.