Tiefes Ausruhen

Entspannen ist tiefes Ausruhen. Der Gegenpol zu Stress und Unruhe.

Manchmal packe ich mein Laptop ein und fahre die knapp 40 km nach Köln, um zu beobachten und mich inspirieren zu lassen. Ich muss aber gestehen, dass diese Stadtbesuche in den letzten Jahren immer seltener werden. Schon auf der Autobahn wundere ich mich über das Verhalten der Drängler und Raser, die offensichtlich auf der Flucht sind, vor was auch immer, und der Fluchenden und Gestikulierenden, die ihren Frustpegel durch wüste Beschimpfungen und tief geschürten Ärger abzureagieren scheinen. Beide Spezies können sich jedenfalls nicht mehr regulieren. Und sie agieren auf Kosten ihrer Mitmenschen. Ich frage mich was alles dazu führt, dass der Stresspegel immer höher klettert, je näher ich der Stadt komme.

Etwas später laufe ich durch die Innenstadt. Es ist laut, die Luft ist schlecht, die Straßen voller Autos, die Menschen eilen von A nach B - die Hälfte von ihnen hält den Kopf gesenkt und schaut ins Mobilgerät. Es ist grau, die Bedienung im Cafe ist unfreundlich, die Gesichter um mich herum ernst und verschlossen. Ein Mann im Business Outfit lässt sich am Nebentisch in einen Sessel fallen und atmet laut ein und aus. Gut so. Einige bewusste und vertiefte Atemzüge entspannen den Geist und das Herz. Das weiß auch die Neuroforschung mittlerweile zu belegen. Yogis wissen das schon seit ewigen Zeiten. Und so atmen wir tief und lang, um den Stress zu transformieren. Stress führt zu Ungeduld, Frustration, Ärger, Wut, Kopfschmerzen, Herzkreislaufbeschwerden, Schlafstörungen, Muskelverspannungen,  Rückenschmerzen, Verdauungsbeschwerden, Magenschmerzen, Depression, Angst und und und.

Das Tempo der Stadt und die niemals endenden Impulse für meine Sehnerven, Hörnerven, Geruchsnerven nerven mich. Der chronische Stress der Stadt würde bei einem Landei wie mir zu einer Abnahme der Lebensqualität führen und den Weg für Krankheiten ebnen. Ob man wohl Resistenzen entwickeln kann gegen die Zumutungen des Stadtlebens?

Meine Gedanken wandern zu all den Dingen, die im Menschen zu Stress führen. Ärger mit Partnern, Kindern, Eltern, Schwiegereltern, Chefs, Teams, Krankheiten. Dienstleister können stressen und ganz besonders zerren Existenznot und Armut an den Nerven, aber auch Lautstärke und Kälte. So mancher Stress ist sicher hausgemacht, anderer aber ist Schicksal oder einem gnadenlosen Dreckskapitalismus geschuldet.

 

In der Yoga Philosophie ist das zweite Niyama ( Umgang mit mir Selbst) Samtosha, die Zufriedenheit, Gelassenheit. Es ist sicher hilfreich gelassener mit den Widrigkeiten des Lebens umzugehen und dankbar zu sein für das, was ich habe und bin. Und doch ist es auch wichtig, sich politisch zu empören. Farbe zu bekennen. Aber vielleicht kann ich mich ja empören und dabei abgegrenzt bleiben. Mich nicht mit den  Missständen identifizieren und innerlich ruhig  bleiben. Dann muss ich mich auch nicht in Aggression verlieren. Heute sagte eine Yogaschülerin zu mir, bei Samtosha muss man aber aufpassen, dass es nicht in Gleichgültigkeit umschlägt. Nun ja, wenn ich das Wort mal in seine Einzelbestandteile auseinandernehme steht da Gleich und Gültig.....alles hat gleiche Gültigkeit. Und das führt letztlich dazu, nicht mehr zu werten, das dualistische Denken hinter sich zu lassen.

Zurück zum Stress und der viel beschworenen Reduktion desselben.

Es ist sicher sinnvoll darüber nachzudenken, wo und wie ich Stress reduzieren kann. Manchmal aber hilft nur ein anderer Umgang mit dem Stress. Andere Sichtweisen und Reaktionsketten zu erlernen ist wichtig.

Unbedingt nötig aber ist, bewusst zu entspannen. Der Mediziner Herbert Benson spricht von Entspannungsreaktion. Die mentale und physiologische Antwort des  Menschen auf bewusst initiierte Entspannung ist ein langsamerer Puls, ausgewogener Stoffwechsel, langsamere Atemfrequenz, niedrigerer Blutdruck, langsamere Gehirnwellen. Körper, Geist, Nervensystem und Immunsystem sind verbunden. Wenn wir entspannen, beruhigen wir Körper und Geist. Der Atem ist dabei unser bedeutsamstes Werkzeug. Tiefer und langer Ausatem stimuliert den Parasympathikus, den Teil des Nervensystems, der für innere Ruhe zuständig ist.

Im Iyengar Yoga gibt es viele Haltungen, die extra zur Entspannung entwickelt wurden. BKS Iyengar hat uns ganze Entspannungssequenzen an die Hand gegeben, je nach Art des individuellen Leids. Weltweit sind diese Sequenzen von Entspannungshaltungen in den Iyengar Therapieklassen getestet und für hilfreich befunden worden. Empirische Forschung also.

Als Yogatherapeutin stelle ich meinen Patienten ganz individuell zugeschnittene  Übungen und Haltungen zusammen, die ihnen bei ihren gesundheitlichen Schwierigkeiten helfen. Täglich 10 Minuten für bewusst durchgeführte Entspannung und Atmung zu reservieren, verändert den gesundheitlichen Zustand messbar. Dass Meditation Gehirnareale verändert und Herzen gesunden lässt, ist mittlerweile gut erforscht und belegt.

In den Städten boomen Yogastile die hauptsächlich den Körper trainieren. Und das unterlegt mit lärmenden Beats. Musik als Alltagsgeräusch. Je fordernder, umso lukrativer. Viele sogenannte Yogis bewerten ihren Yogaunterricht nach dem Schweiß, den sie auf die Matten absondern. Je mehr, umso besser. Je akrobatischer umso anziehender. Je schicker, umso hipper.

Yoga Citta Vrtti Nirodha – Yoga ist das zur Ruhe bringen des Geistes, heißt es im Yoga Sutra des Patanjali. Es ist wunderbar den Körper geschmeidig, kraftvoll und gesund zu erhalten. Ihn für das aufrechte Sitzen in Meditation vorzubereiten. In einer Zeit die viel zu viel auf Selbstoptimierung und Schnelligkeit abzielt ist es aber umso wichtiger, Entspannung und Langsamkeit zu lernen und zu etablieren. Stille und körperliche Ruhe aushalten und den Atem  verlangsamen. Für Menschen mit viel Trägheit und Schwere mag es ja hilfreich sein auf der Matte zu schwitzen. Für all die, die sowieso zu viel Hitze (im ayurvedischen Sinn) haben, die Pitta und Vata Menschen, und die mit Pitta- und Vatastörungen, ist es viel wichtiger einen ruhigen Yogastil zu üben, der durchaus auch kraftvoll sein kann, der aber Zeit lässt, nach Innen zu spüren, den Körper in allen Facetten wahrnehmen zu lernen und den Atem zu lenken und auszudehnen.

Auch ich finde es interessant mit „akrobatischen“ Positionen zu spielen. Das nährt mein inneres Kind und macht Spaß. Aber es bleibt eine eher nebensächliche Spielerei. Yoga sollte nicht nur als Ausgleich dafür dienen, dass wir uns zu wenig bewegen. Yoga ist ein achtgliedriger Pfad und Asana ist lediglich ein Glied des Pfades.

Wir können nur Asana üben, das steht jedem frei. Dann machen wir Körperertüchtigung und nicht Yog.

Der Westen hat Yoga auf Asana reduziert. Kein Wunder, dass die indischen Yogameister erschrocken und erbost sind über die Verstümmelung ihrer uralten Weisheits-Tradition. Meist finden Menschen  den Zugang zu Yog über das Erlernen der Asanas. Viele bleiben aber im Üben der Haltungen stecken und finden nie einen Zugang zu Yog.

 

Nach einem Tag in der Stadt bin ich wieder zu hause angekommen. Ich lebe direkt am Waldrand und schaue über die sanft hügelige Landschaft des Bergischen. Ich bin dankbar hier zu leben, empfinde es als Luxus. Schon beim Aussteigen aus dem Auto sauge ich die vom Regen sauber gewaschene Luft tief in die Lungenflügel. Was für ein Unterschied. Dann hänge ich mich an meinem Yogaplatz in den Seilhund, die Stirn ruht auf einem Kissen, und entspanne bewusst 10 Minuten.

 

Später sitze ich mit Tee am Gartenfenster und schaue den Vögeln beim Anflug auf das Vogelfutterhaus zu. Sonst nichts. Nur atmen und gucken. Ich liebe diese Momente der Stille. Und ich liebe die Fröhlichkeit der Meisen, Kleiber, Dompfaffe und Rotkehlchen. Samtosha.