Zen kam in mein Leben

Was wird als mein Vermächtnis bleiben?
Blumen im Frühling,
Der Kuckuck im Sommer
Und die dunkelroten Blätter des Herbstes. 

Ryôkan (1831)

Ich wollte so gerne Bogen schießen. Im Jahresprospekt des Odenwaldinstitutes entdeckte ich einen 4 Tage Kurs intuitives Bogen schießen. Das Bild des Kursleiters, eines graubärtigen älteren Herrn, wirkte auf mich so vertrauensvoll, dass ich mich sofort anmeldete. Im Frühsommer  2001 fuhr ich bei strahlendem Sonnenschein in den Odenwald. Ich bin ein bunter Mensch. Und so war ich auch zu diesem verlängerten Wochenende, mit farbenfroher Kleidung am Leib und im Koffer, angereist. Als ich am Nachmittag den Seminarraum betrat, waren alle anderen Teilnehmer schwarz gekleidet. Ich sah an mir runter und kam mir wie ein Paradiesvogel vor. Sehr exotisch in dieser Umgebung.

Ich wurde  herzlich von KyuSei Österle, dem genauso freundlichen, wie vertrauenswürdigen Herrn, empfangen.

Der Kurs begann mit Meditation. KyuSei führte uns mit seiner ruhigen Art zum Atem und in die Stille. Ich hatte in den 70iger Jahren Freunde erlebt, die aus Indien heimkehrten und ab dann jeden morgen meditierten, aber ich selbst hatte es noch nie versucht. Nun saß ich also auf meinem Meditationskissen und konzentrierte mich auf den Atem. Dabei wollte ich doch Bogenschießen. Als ich am Abend die Ausschreibung des Kurses noch einmal las wurde mir klar, dass ich nur Bogenschießen und ein Datum und das Bild des weißhaarigen Mannes wahrgenommen hatte. Den Rest des Textes aber, hatte ich entweder gar nicht gelesen, oder überlesen und ausgeblendet. Dort stand, dass das Bogenschießen Bestandteil des zenbuddhistischen Übens an diesem Wochenende sein würde. Und es wurde höflich darum gebeten, in dunkler, unauffälliger Kleidung zu erscheinen, damit das Auge und der Geist nicht abgelenkt werden. Ich atmete tief durch und beschloss, mich einzulassen. Trotz meiner Farbigkeit meditieren und schießen zu lernen. Ich spürte in der ersten Sekunde, dass KyuSei ein erfahrener Lehrer ist, ein Sensei. Ich vertraute ihm sofort. Ganz intuitiv.

Am zweiten Tag bat er mich zum Dokusan, dem Einzelgespräch mit dem Lehrer, so wie es in der Zen Tradition üblich ist. Ich erzählte KyuSei über mich, er erzählte von sich und seinem Werdegang. Zum ersten mal hörte ich die Worte Zazen (die Übung des Sitzens in Meditation) und Roshi (der Zenmeister), Dokusan (das Einzelgespräch) und Dojo (der Übungsraum). Am frühen Morgen zog jemand mit einer großen Glocke durch die Flure des Seminarhauses, um uns Schüler zu wecken. Es war 5:30h. Um 6h begann die erste Meditation des Tages. Ich hörte den Klang der Glocke, kuschelte mich in meine Decke  und fühlte mich wohl.

Ich lernte fest zu stehen, mich mit der Erde zu verbinden, einzuatmen, den Körper in Spannung zu bringen, die Bogensehne zu spannen und mit dem Ausatem loszulassen. Die Spannung in Losgelöstsein zu transformieren. Dann wieder Einatmen, Spannung, Konzentration und sanftes loslassen mit voller Achtsamkeit. Nichts wollen. Auch kein Ziel treffen WOLLEN.

Ich lernte 25 Minuten in Stille zu sitzen, ganz wach bei meinem Atem zu sein. Ich lernte achtsames Gehen (Kinhin), und ich genoss es.

KyuSeis Präsenz, seine liebevolle Zugewandheit und sein weiser Geist ließen ein tiefes Vertrauen zum Lehrer in mir erwachen. Meine Neugier war entfacht. Am Ende der Tage wusste ich, dass ich wiederkommen wollte. KyuSei lud mich ein, in seinem Dojo, in der Altbäckersmühle, weiter zu üben. Das tue ich seitdem. Was für ein Glück, dass ich beim Lesen der Kursausschreibung so unachtsam war. Ich wäre sonst vielleicht niemals hingegangen.

 

Was für ein Zufall, sagte ich zu KyuSei.

Er sagte: ja, es ist dir zugefallen.