Kashi, die Stadt der Toten

The city of light, city of peace. Varanasi/Benares oder Kashi, wie die Inder ihre Stadt liebevoll nennen. Seit bald 40 Jahren ein Sehnsuchts Ort für mich. Endlich hier. Dankbarkeit erfüllt mich.
An jeder Ecke ein Shiva Tempel. Dies ist die Stadt Shivas - Gott der Zerstörung und des Neuanfangs. Und auch wenn es Shivas Stadt ist, vereint Varanasi alle indischen Götter hier. Außer in den Tempeln Ladakhs habe ich noch nie eine so selbstverständlich und tief empfundene Religiosität und Spiritualität gesehen, erlebt. Frauen und Männer lassen sich an den Ghats (die steilen Treppen am Ufer des Ganges) die Köpfe rasieren, um dann , losgelöst von der Anziehungskraft der Äußerlichkeiten, ein rituelles Bad in Mutter Ganga zu nehmen und alles schlechte Karma dem Fluss zu übergeben. Reingewaschen und erlöst steigen sie aus dem Fluss. Glücklich, selbstversunken, bereit ein besseres, spirituelleres, verantworungsbewussteres Leben zu leben. Über die mikrobielle Beschaffenheit des Ganges möchte ich an dieser Stelle nicht weiter sprechen. Das Gefühl der Inder zu ihrer heiligen Mutter Ganga erschließt sich uns Europäern nicht, und wir sollten darüber nicht urteilen. Auch UNSER analytischer Geist ist beschränkt. Lassen wir diese Diskussion respektvoll beiseite.
Hierher kommen die Inder auch, um zu sterben. Wer in Varanasi stirbt, wird aus dem Rad von Samsara befreit. Er/sie erlangt Samadi und wird nicht wiedergeboren.
Dreck, Verfall, die marode Schönheit der Bauten, Abzocke und Versunkenheit, Krankheit, Armut, Alter, Kinder die allmorgendlich Yoga praktizieren vor dem Sanskrit Ashram, dem sie von ihren Familien anvertraut wurden, bunte Saris und der Tschador, alles friedvoll und sichtbar nebeneinander. Hier und dort eine Moschee, eine Kirche, ein Buddha Tempel oder ein Jain Heiligtum. Menschen und Pilger aus ganz Indien, dieser größten und ältesten Demokratie der Erde, 1,4 Millarden Menschen. Und natürlich Menschen aus der ganzen Welt, auch wenn die Saison bereits vorüber ist. Es ist zu heiß um diese Jahreszeit. Alles vereint sich hier. Alles ist eins. City of peace. Die Uhren ticken langsam oder gar nicht. Und wenn morgens die Sonne aus den Wäldern am östlichen Ufer aufsteigt und ihr Licht von einer Gangesseite zur anderen ausschüttet, sagt Sono zu mir: look at the golden bridge. Und ja, es sieht aus wie eine goldene Brücke, aus Sonnenstrahlen erschaffen. Sono ist mein Guesthouse Besitzer und Sono heißt Gold. Er trägt diesen Namen, weil er als Neugeborener so eine helle, honigfarbene Haut hatte. Es gibt unzählige Geschichten in diesem Land und jeder erzählt einige davon.
Die Luft ist erfüllt von Mantras. Überall ist Musik. Kashi ist auch die Stadt der klassischen indischen Musik.
Noch bin ich scheu und die Energie der tiefen Hingabe an das Göttliche, an Lord Shiva, macht mich still. Ich trete innerlich einen Schritt zurück, um die Menschen in ihren zeremoniellen Handlungen nicht zu stören. Es ist ihre Stadt, ihr heiliger Ort der Hingabe, der heiligste Ort Indiens. Die schillernden Gottheiten sind allgegenwärtig.
Mein  Buddha ruht an und in meinem Herzen, während ich mich der Bedeutung der Hindugötter mit Offenheit nähere. Lerne, immer mehr verstehe, Fragen stelle, erstaunliche Antworten erhalte und dann, angefüllt mit Wissen, Eindrücken, heiliger Energie und Staunen, lasse ich mich erschöpft im Rooftop Restaurant in einen Stuhl fallen.  Noch lasse ich die Blicke schweifen und versuche zu verarbeiten. Alle Sinne sind bis aufs Äußerste angesprochen. Dann, Hände waschen, Augen schließen,  die 360 Nadis in jedem Nasenloch zur Ruhe kommen lassen,  Ohren auf passiv schalten. Alles sinken lassen, bis tief in jede Zelle. Langsam. Langsam.

Namaste

Gandhi übersetzte Namaste so:

ich verbeuge mich vor dem Ort in dir, an dem der ganze Kosmos wohnt.

Ich verbeuge mich vor dem Ort der Liebe, des Lichts, des Friedens, der Wahrheit und der Weisheit in dir.

Ich verbeuge mich vor dem Ort, wo, wenn du an diesem Ort bist, und ich an diesem Ort bin, es nur das Eine von uns gibt.